Klaus-Geise-VoicesHerr Geise, beginnen wir mit einer kurzen Analyse der Flüchtlingslage. Wie ist die aktuelle Situation in Blomberg, wie wird sie sich entwickeln?

Ende August hatten wir insgesamt 180 Flüchtlinge in unserer Stadt – mit einer deutlich steigenden Tendenz. Schauen Sie sich die aktuellen Bilder in der Tagesschau an, dann wird deutlich, dass eine verlässliche Prognose nicht realistisch ist – nur der Trend ist klar. Allein in der ersten Septemberwoche hatten wir 13 Zuweisungen.

Neben 29 Familien sind derzeit gut 60 Alleinstehende da. In Blomberg besteht die größte Gruppe aus dem Westbalkan (30 – 40 Prozent), weitere große Gruppen sind aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Auf unserer lokalen Ebene versuchen wir nach Kräften, den Menschen ein vernünftiges Dach über dem Kopf und eine gute Willkommenskultur zu bieten. Mit der Anmietung eines ehemaligen Gewerbeobjektes am Lehmbrink haben wir einen wichtigen Schritt dazu getan und können dort demnächst über Hundert Flüchtlinge unterbringen.

Welche Ansprüche haben Flüchtlinge in Deutschland im Allgemeinen? Wozu ist die Gemeinde verpflichtet?

Asylbewerber in Deutschland erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistungen sind angelehnt und in weiten Teilen vergleichbar mit der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Vor Ort bekommen sie zunächst erst einmal Wohnraum zugewiesen. Hier gibt es dann eine Erstausstattung: vom Bett bis zum Besteck mit Teller und Tasse. Im Grunde alles, was der Mensch zum täglichen Leben braucht. Ferner bekommt er (vielfach in Gemeinschaftsnutzung) Waschmaschine und Küche etc. zugewiesen.

Die Aufnahme von Flüchtlingen für Sie eine Selbstverständlichkeit?

Formal betrachtet ist die Aufnahme von Flüchtlingen zunächst einmal eine kommunale Pflichtaufgabe, der sich eine Gemeinde nicht entziehen kann. Darüber hinaus – und dies sollte die wesentliche Motivation sein – ist es ein Gebot der Humanität, Menschen, die vor Gewalt, Elend und Not fliehen, hier bei uns Schutz zu geben. Das gehört für mich zu den Grundsätzen unseres gemeinsamen Wertekanons, der nicht zuletzt im Grundgesetz verankert ist. Zudem haben wir Deutsche selbst in der Nachkriegszeit erfahren müssen, wie schwer das Flüchtlingsschicksal ist und wie wertvoll es ist, nicht abgewiesen, sondern willkommen geheißen zu werden.

Das Stadtsäckl ist leer, was ist mit den Kosten?

Leider hat es schon eine gewisse Tradition, dass die Staatsebenen von Bund und Land die Folgekosten gesamtstaatlicher Aufgaben, wie zum Beispiel die der deutschen Einheit oder die der Langzeitarbeitslosigkeit, in die Kommunen durchreichen. Dies ist bei der Flüchtlingsfrage nicht anders. Auch wenn der Bund vor kurzem zusätzliche Mittel für die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung bereitgestellt hat, so bleibt es doch dabei, dass in NRW die Städte und Gemeinden weiterhin die finanzielle Hauptlast tragen müssen. Wenn für alle laufenden Ausgaben der Stadt die aktuellen Einnahmen nicht reichen, so werden dafür die Kassenkredite erhöht werden müssen.

Wie könnte eine sinnvolle Kostenverteilung aussehen?

Da das Asylrecht Bundesrecht ist, wäre es nur richtig, wenn der Bund die finanzielle Hauptlast tragen würde. Die Kanzlerin hat völlig zu Recht von einer „nationalen Aufgabe“ gesprochen – nicht von einer kommunalen Aufgabe. Wir Kommunen sind natürlich bereit, unseren Anteil zu tragen. Über die rein finanziellen Ausgaben für Mieten, Lebenshaltung usw. haben wir nicht zuletzt einen deutlich erhöhten Personalaufwand, den wir aufbringen, um die ankommenden Menschen zu empfangen, unterzubringen und zu betreuen. Das darf man bei der Aufrechnung der Kosten nicht vergessen.

Können Sie den Unmut der Bevölkerung in Blomberg nachvollziehen?

Unmut habe ich nicht festgestellt – nein, eher die Sorgen. So kann ich verstehen, dass die Menschen nicht nur in Blomberg angesichts der aktuellen Entwicklung in gewissem Maße beunruhigt sind. Große gesellschaftliche Herausforderungen – und um eine solche handelt es sich – erzeugen Verunsicherung, kritische Nachfragen und zum Teil eben auch Sorgen um die Auswirkungen auf das eigene Lebensumfeld.

Unsere Gesellschaft wird sich verändern.

Deshalb ist es absolut notwendig, im Großen wie im Kleinen, mit den Menschen im Gespräch zu sein und aufzuklären. Alle Beteiligten müssen sich an unsere wertvollen demokratischen Spielregeln in unserem Gemeinwesen halten. Hass und Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen wir ein absolutes „Nein“ entgegensetzen!

Viele Flüchtlinge kommen zu Unrecht nach Deutschland?

Die Frage, ob jemand zu Recht oder Unrecht nach Deutschland kommt, wird im Rahmen des Asylverfahrens geklärt. Das Grundrecht auf Asyl ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die wesentlich durch die Erfahrungen im Nationalsozialismus bestimmt ist.

Soweit die rein rechtliche Seite. Auf der menschlichen Seite sollte man bei dieser Frage bedenken, dass niemand grundlos oder sogar gerne sein Familie, seine Heimat und seinen Kulturkreis verlässt. Politische Verfolgung, Rassismus, Not, Elend, Umweltzerstörung und vor allem Krieg sind es in der Regel, die Menschen zu diesem harten Schritt veranlassen. Ein Schritt, den in der Vergangenheit auch immer wieder viele Deutsche getan haben, um etwa in Amerika oder anderswo ein besseres Leben zu finden.

Wie viele Flüchtlinge kann Blomberg überhaupt fassen?

Es gibt kein objektives Maß, mit dem man die Aufnahmefähigkeit einer Stadt oder eines Landes bemessen kann – eher ein subjektives Gefühl. In ärmeren Ländern leben Menschen häufig sehr viel beengter und nehmen zudem noch Flüchtlinge auf. Und wenn wir in die Geschichte zurückschauen, können wir feststellen, dass im Jahre 1946 in Blomberg 5.400 Einheimische zusammen mit 2.800 Evakuierten und Flüchtlingen lebten. Ein ganz anderer Blickwinkel, wie Flüchtlinge heute unsere Stadt bereichern können, liegt im demografischen Wandel begründet: In den letzten 15 Jahren haben wir rund 2.500 Einwohner als Käufer, Arbeitskräfte und Schüler verloren.

Demontierte Duschköpfe in Flüchtlingsunterkünften, Taschengeldklau untereinander, Flüchtlinge sind kriminell und gefährlich?

Diese generelle Behauptung „Flüchtlinge sind kriminell“ ist ebenso falsch wie die Behauptung „Brillenträger sind Linkshänder“. Es braucht immer den zweiten und differenzierten Blick auf den jeweiligen Sachverhalt. Das macht ja auch die Stammtisch-Diskussion gegen Vorurteile so schwer. Wie in jeder Bevölkerungsgruppe, so gibt es auch unter den Flüchtlingen Kriminalität – diese ist jeweils nicht zu dulden, sondern selbstverständlich zu ahnden. Und wenn sie teilweise gehäuft auftritt, so hat das einen erklärbaren Hintergrund – und der liegt nicht automatisch in der Nation oder der Hautfarbe. Vielmehr ist es wichtig, den asylberechtigten Flüchtlingen Sprache zu vermitteln, sie schnell schulisch/beruflich zu integrieren sowie ganz grundsätzlich Perspektiven aufzuzeigen und Chancen geben.

Til Schweiger stellte kürzlich die These auf, dass die Probleme hausgemacht seien und die USA einen großen Anteil an der Misere tragen. Ein Kommentar dazu?

In der Tendenz gebe ich Til Schweiger durchaus Recht. Die Welt befindet sich in einem Umbruch, der zu Wanderungsbewegungen in bisher nicht angenommenem Ausmaß führt. Die Menschen verlassen ihre Heimat nicht ohne Not. Weltweit gibt es gegenwärtig circa 400 Kriege. Die Außenpolitik der Großmächte hat in den letzten Jahrzehnten vor allem in Afrika und im vorderen Orient selten mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl gegenüber den dort etablierten politischen und kulturellen Strukturen gehandelt.

Unter anderem auch deshalb sind Terrororganisationen wie der sogenannte „Islamische Staat“ oder Boko Haram stark geworden. Die Folgen sind Krieg und Vertreibung. Die Erfolge langjähriger Entwicklungshilfepolitik verblassen daneben leider sehr, sehr schnell. Doch es gibt in meinen Augen noch weitere kritische Gesichtspunkte. So hat die Globalisierung der Weltwirtschaft dazu

geführt, dass vor allem in Afrika viele Menschen um ihren Broterwerb gebracht worden sind. Und der durch die Industrienationen maßgeblich verursachte Klimawandel führt verstärkt zu Umweltflüchtlingen.

Vorwurf: Immobilieneigentümer nutzen die aktuelle Situation um sich zu bereichern. Was halten Sie von diesem Geschäftsmodell?

Bei der Vermietung von Wohnraum geht es in unserem Wirtschaftssystem nicht um „bereichern“ oder „nicht bereichern“. Nachfrage und Angebot bestimmen den Preis und dementsprechend können Vermieter im Moment vielleicht auch solche Immobilien für einen guten Preis vermarkten, für die sich sonst nicht mal einen Interessenten gefunden hätten. Gesetzliche Grenzen sind allerdings bei Wucher und Sittenwidrigkeit gesetzt.

Ein leer stehendes Hotel in Billerbeck wird Notunterkunft. Abgerechnet wird pro Kopf. Bei 200 Flüchtlingen á 17 Euro pro Tag ein stolzer Mietzins?

Die Bereitstellung von Notunterkünften ist eine Angelegenheit des Landes. Daher möchte ich diese Frage nicht beantworten, insbesondere weil mir auch die näheren Details der Verträge nicht vorliegen.

Wird es für das Flüchtlingsheim am Lehmbrink eine personelle Betreuung geben? Wie sieht diese dann aus?

Ja, wir werden die Menschen dort – Nachbarn wie Flüchtlinge – nicht alleine lassen. Die Vorteile einer zentralen Unterkunft liegen darin, auf kurzen Wegen viel bündeln zu können. Dazu werden Sozialarbeiter, Hausmeister, Sicherheitsdienst sowie nicht zuletzt auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer beitragen. Die konkrete Ausgestaltung findet sich derzeit in der Abstimmung.

Welche Probleme gibt es im Umgang mit den Flüchtlingen verwaltungsseitig?

Wenn die Menschen erst einmal hier sind, dann ist vorrangig die Sprache das größte Problem. Vielfach müssen wir improvisieren, ehe ein Dolmetscher oder andere Flüchtlinge übersetzen können. Und wir haben es mit vielen Menschen zu tun, die nach einem langen Leidens- und Fluchtweg, oftmals traumatisiert, auf eine für sie neue Kultur treffen. Andere Mentalitäten und Lebensgewohnheiten sind nicht von heute auf morgen zu verstehen und zu lernen.

In Lemgo-Hörstmar wurde aus einem geplanten Grillen mit Flüchtlingen eine Party. Ein schöner Beitrag zur Völkerverständigung. Ähnliche Maßnahmen für Blomberg geplant?

Sie sind nicht nur geplant, sondern Realität, wie zum Beispiel das sehr gute gemeinsame Fest beim Jugendzentrum. Darüber hinaus haben die beiden „Runden Tische“ zur Flüchtlingshilfe in der Kernstadt und in Cappel auch künftig ganz unterschiedliche Aktivitäten und gemeinsame Dinge geplant.

Welche Unterstützung würden Sie sich aus der Bevölkerung wünschen? Wie können Bürger sich engagieren?

Zunächst einmal möchte ich an dieser Stelle ein großes Lob aussprechen für die, die sich bereits bisher ehrenamtlich um die hier ankommenden Flüchtlinge kümmern. Ich weiß von vielen, die sich der Menschen annehmen, die helfen und unterstützen. Das ist ganz großartig und zeigt, dass Blomberginnen und Blomberger bereit sind, Menschen in Not freundlich aufzunehmen und zu unterstützen – das zeigt, dass Blomberg eine weltoffene Stadt ist, in der Hilfsbereitschaft         und Humanität einen hohen Stellenwert haben. Dafür bedanke ich mich im Namen der Stadt Blomberg sehr herzlich.

Möglichkeiten einer Unterstützung gibt es viele: Über Wohnungsangebote, Dolmetschertätigkeit, Einkaufshilfen und Fahrdienste reicht die Palette hin zu Sach- und Geldspenden.

Die bereits in der Flüchtlingshilfe Aktiven freuen sich über jede Hilfe. Ansprechpartner und Koordinator         ist

Herr Andreas Krumme (Tel.: 05235-503839 oder über A.Krumme@blomberg-lippe.de). Das Spendenkonto bei der Volksbank Ostlippe lautet: Ev. – ref. Kirchengemeinde Blomberg, Stichwort „Flüchtlinge“ IBAN-Nr.: DE 36 4769 1200 0003 6927 00, BIC: GENODEM1 OLB.

Gestatten Sie mir noch ein persönliches Schlusswort. Die Flüchtlingssituation stellt uns auch in Blomberg vor große Herausforderungen, doch ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge erfolgreich umsetzen können. Diese große gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird alle Beteiligten der Verantwortungsgemeinschaft in unserem Land erheblich fordern. Hierzu wollen und müssen wir auch in Blomberg unseren Beitrag leisten, die Flüchtlinge vorurteilsfrei willkommen heißen und Integration nach Kräften fördern.


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