Seit wann sind Sie in der Politik aktiv, welche Stationen gab es?
Seit 1999 vertrete ich den Detmolder Süden im Kreistag Lippe. Mein Arbeitsschwerpunkt ist die Sozial- und Gesundheitspolitik. Deshalb leite ich den zuständigen Fachausschuss im Kreistag schon seit vielen Jahren. 2001 wählte mich die SPD-Fraktion zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Von 2009 bis 2014 war ich Erster Stellvertretender Landrat, und nach der Kommunalwahl im vergangenen Jahr habe ich das Amt des Fraktionsvorsitzenden übernommen. So wird man langsam vom Fachpolitiker zum Generalisten. Das Mandat im Kreistag ist ebenso ein Ehrenamt wie die Mitgliedschaft in der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster. In diesem so genannten „Westfalen-Parlament“ vertrete ich Lippes Interessen seit 2004 und gehöre unter anderem dem Kulturausschuss an.
Sie schreiben auf Ihrer Internetseite: „Nach 16 Jahren ist es Zeit für einen Wechsel.“ Warum?
Politische Ämter werden auf Zeit vergeben. Der jetzige Landrat amtiert bereits seit 16 Jahren. Nach drei Wahlperioden wird es Zeit für ein neues Gesicht und für neue Ideen. Im Übrigen macht auch die Bilanz des Amtsinhabers deutlich, dass die Zeit für den Wechsel gekommen ist. Ich erinnere an den Nationalpark, die Privatisierung bei den Kreisstraßen, die uns Jahr für Jahr Millionen kostet, und die Tatsache, dass der Kreis bei über 200 Mio. Euro Verbindlichkeiten jetzt auch seine Ausgleichsrücklage praktisch aufgebraucht hat.
„Der demografische Wandel verlangt auch in Lippe nach neuen Ideen und Initiativen.“, wie sieht das unter einem Dr. Lehmann aus?
Lippe verliert bis 2030 gegenüber 2008 mehr als 10 Prozent seiner Bevölkerung, deutlich mehr als ein Drittel der Lipperinnen und Lipper ist älter als 60. Und wir werden „bunter“. Migration, Patchwork-Familien und andere Phänomene gehören dazu. In dieser Entwicklung Lippes liegen Chancen und Risiken. Ich will als Landrat die Chancen nutzen und die Risiken minimieren. Zwei Beispiele dazu: Erfreulich ist, dass mehr fitte und agile Senioren sich im Ehrenamt einbringen können. Das gilt es zu fördern. Eines von vielen Risiken, ist dass der öffentliche Bus- und Bahnverkehr bei zurückgehenden Fahrgastzahlen kaum noch zu finanzieren ist. Ich will Takte und Linien erhalten, aber durch kleinere Busse, Anrufsammeltaxen, Bürgerbusse und andere Maßnahmen. Frische Ideen sind auch gefragt, um ärztliche Versorgung auf dem Land zu garantieren, Familien mit Kindern den Alltag zu erleichtern oder die Ausbildungsplatzlücke, die wir in Lippe immer noch haben, so weit wie möglich zu schließen. Die Liste der Herausforderungen ließe sich noch um zig Punkte erweitern…
Welche Schwerpunkte haben Sie sich gesetzt?
Die Wirtschaftsförderung ist ein wichtiges Aufgabenfeld für den neuen Landrat. Auch unter Aspekten der Demografie. Die Menschen leben dort, wo sie gute Arbeit finden. Dabei ist das „gut“ wichtig. Wirtschaftsförderung muss also die Schaffung von guten Arbeitsplätzen unterstützen. Defizite sehe ich da noch in der Versorgung mit schnellem Internet. Im vergangenen Jahr war lediglich 58 % Lippes ausreichend versorgt. Dabei sind schnelle Internetverbindungen die Autobahnen der Zukunft. Auch kleine und mittlere Unternehmen siedeln sich nur dort an, wo Breitband zur Verfügung steht. Außerdem ist unser Regionalmarketing nach außen ausbaufähig. Sowohl Unternehmer als auch qualifizierte Arbeitnehmer überall in der Republik sollten wissen, dass es sich in Lippe gut arbeiten und leben lässt. Die IHK kommuniziert das in ihrer bekannten Werbekampagne, beim Kreis herrscht Funkstille.
Was unterscheidet die Kreispolitik von der Kommunalpolitik?
Der Kreis ist ein Zusammenschluss seiner Städte und Gemeinden, der Aufgaben erledigt, die die einzelnen Kommunen nicht erledigen könnten. Blomberg kann kein eigenes Klinikum unterhalten, kein eigenes Berufskolleg und auch nicht alle Arten von Förderschulen. Das bedeutet, dass die Kommunalpolitik, die auch über neue Laternen an der Anwohnerstraße entscheidet, von den Bürgerinnen und Bürgern stärker wahrgenommen wird als die etwas weiter entfernte Kreispolitik. Umgekehrt sehe ich darin aber auch eine Chance. Kommunalpolitik hört an den Grenzen der Gemeinde auf. Der Kreis muss die Gesamtheit und das Wohl von 16 Kommunen im Auge haben. Beispiel: Das Freibad Schieder. Die Stadt versucht es bei klammen Kassen zu erhalten und bittet den Kreis um Hilfe. Aus ihrer Sicht verständlich. Der jetzige Landrat buttert jetzt jedes Jahr 30.000 Euro zu. Das hätte er aus Kreissicht nicht tun dürfen. Denn jetzt bezahlen die 15 anderen lippischen Kommunen – Blomberg eingeschlossen – das Freibad in Schieder mit. Hier ist die Chance vertan worden, über den örtlichen Kirchturm hinaus zu denken.
Wie sehen Ihrer Meinung nach zukunftsfähige Strukturen in Lippe aus?
Ich bin nicht der Auffassung eines scheidenden lippischen Bürgermeisters, dass künftig drei oder vier Städte in Lippe ausreichen würden. Hier geht es schließlich auch um die Identität von Menschen. Ich bin aber sehr wohl der Auffassung, dass die lippischen Kommunen stärker zusammenarbeiten müssen – auch über LEADER-Projekte hinaus. Wo der Kreis dann helfen kann, soll er helfen. Im Moment beobachte ich aber zwei Fehlentwicklungen. Entweder zieht der Kreis Kompetenzen an sich und höhlt damit die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden aus. Oder er pflegt eine Zusammenarbeit, die wertlos ist. Beispiel: Bauhof Lemgo. Da will der Kreis einen gemeinsamen Bauhof mit der Stadt errichten – aber zunächst nur als Gebäude. Betriebliche Zusammenarbeit, Synergie effekte – alles kein Thema. Das ist zu kurz gesprungen!
Was wollen Sie für die Senioren tun?
Angebote für Senioren sind auf unterschiedlichen Feldern nötig, um Lippe demografiefest zu machen. Zu Bus und Bahn habe ich schon Stellung genommen. Senioren müssen auch in Zukunft mobil bleiben können. Auch die Sicherstellung ärztlicher Versorgung auf dem Land ist hier wichtig. Das ist eigentlich Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Aber dort, wo die KV ihren Auftrag nicht erfüllen kann, wird ärztliche Versorgung zu einem Fall für die öffentliche Daseinsvorsorge. Der Kreis kann über seine beiden Kliniken tatsächlich in einem solchen Notfall helfen. Und zwar mit der Gründung von medizinischen Versorgungszentren abseits der großen lippischen Städte. Außerdem greife ich das Thema „Wohnen“ auf. Ziel muss es sein, dass Senioren möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben können. Dafür müssen wir Hilfestrukturen schaffen: Mehrgenerationenhäuser, Quartiersmanagement, ambulante Hilfen für den Alltag und anderes mehr.
Und für die Jugend?
Wie Mobilität ein Thema für ältere Mitbürger ist, ist es auch eines für die Jugendlichen. Nur haben diese andere Bedürfnisse. Ich möchte bessere Busverbindungen zu den Ausbildungsbetrieben gerade im lippischen Südosten schaffen und zu den Berufskollegs nach Detmold und Lemgo. Auch im Freizeitbereich ist einiges zu verbessern. Wie wäre es mit einem „Disco-Bus“ zum Wochenende? So kämen die Jugendlichen gefahrlos zu großen Partys und wieder zurück. Ich finde außerdem, dass die Kulturarbeit für Jugendliche intensiviert werden kann. Mehr Angebote für junge Menschen im Landestheater, auf der Waldbühne am Hermann oder anderswo.
Kritik an der aktuellen Beschäftigungspolitik in Lippe?
Der Kreis Lippe hat 2012 mit seinem Jobcenter die Aufgabe übernommen, Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) wieder in Lohn und Brot zu bringen. Das sind immerhin mehr als 9000 Arbeitslose in Lippe – mehr als die Agentur für Arbeit im Bereich ALG I betreut. Doch das Ziel wurde deutlich verfehlt. Zwischendurch hatte das Jobcenter des Landrates die schlechteste Vermittlungsquote aller vergleichbaren Einrichtungen bundesweit. Und auch jetzt liegen wir noch nur auf Platz 36 von 44 Jobcentern. Das heißt: Langzeitarbeitslose haben in Lippe deutlich schlechtere Chancen, wieder in Arbeit zu kommen, als anderswo im Land. Das Problem wird an zwei Stellen besonders deutlich: Jedes Jahr nimmt das Jobcenter aus den Eingliederungsmitteln einen Millionenbetrag für die eigene Verwaltung.
Und: Trotzdem ist es nicht gelungen, geeignete Maßnahmen und Qualifizierungen zu organisieren, um alle bereitgestellten Mittel auch zu nutzen. Wir mussten Gelder an die Bundesagentur zurückzahlen, die eigentlich für die Eingliederung der ALG II-Empfänger gedacht waren. Das lag weniger an den Mitarbeitern des Jobcenters als an der Führung in Vorstand und Verwaltungsrat. Die SPD hat inzwischen die Neubesetzung des Vorstandes durchgesetzt – gegen anhaltenden Widerstand des Landrates. Leichte Aufwärtstendenzen sind nun spürbar. Aber es bleibt auch im organisatorischen und inhaltlichen Bereich einiges zu tun.
Lippe im landesweiten und bundesweiten Vergleich? Wo liegen unsere Stärken?
Lippes Stärken liegen in der industriellen Basis. Wir haben weltweit führende Unternehmen wie Phoenix Contact im Kreis, die mit hohen Exportquoten erfolgreich wirtschaften. Außerdem sind wir eine hochattraktive Kulturregion, wie man sie sonst im ländlichen Raum kaum findet. Und schließlich haben wir weitgehend intakte und wunderschöne Naturräume, die uns auch im touristischen Bereich stärken. Trotzdem stehen wir im Vergleich zu anderen Regionen noch vor großen Herausforderungen. Der Prognos-Zukunftsatlas sieht uns deutschlandweit nur auf Platz 270 von 402 Regionen. In OWL ist nur der Kreis Höxter noch schlechter platziert. Und die Bertelsmann-Stiftung hat uns in Bildungsfragen sogar die rote Laterne in die Hand gedrückt. Außerdem sind unsere Arbeitslosenzahlen im ostwestfälischen Vergleich leider besonders hoch. Die Bilanz fällt also gemischt bis durchwachsen aus. Lippe kann eigentlich mehr!
Bund und Land wälzen zu viele Kosten auf die Kommunen ab?
Das ist richtig. Wenngleich es in jüngster Zeit auch Entlastungen gegeben hat. So verweise ich auf das Konjunkturpaket des Bundes, Entlastungen bei der Grundsicherung oder ein finanziell besonders gut ausgestattetes Gemeindefinanzierungsgesetz in NRW. Trotzdem gibt es große Baustellen: Die Kommunen bleiben auf einem großen Teil der Kosten der Flüchtlingshilfe sitzen. Der größte Sprengstoff liegt aber bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Das ist eine Form der Sozialhilfe, die komplett von den Kommunen bezahlt wird. Allein in Westfalen-Lippe sind das 1,8 Mrd. Euro pro Jahr bei jährlichen Kostensteigerung von 80 bis 90 Mio. Euro. Da tickt für die Städte und Gemeinden eine Zeitbombe. Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen, ist eigentlich keine kommunale sondern eine staatliche Aufgabe. Im Übrigen handelt der Kreis an vielen Stellen aber nicht besser als das Land oder der Bund. Beispielsweise, wenn sich der Kreis die Privatisierung der Straßenunterhaltung mit gut 5 Mio. Euro mehr als früher von den Städten und Gemeinden bezahlen lässt. Denen fehlt am Ende das Geld für die eigenen Schulen, Jugend- und Kultureinrichtungen oder Straßen.
Lehmann in einem Satz.
Ich bin ein Teamspieler, der gut zuhören und Argumente abwägen kann, der dann aber auch auf Basis dieser Argumente entscheidet und zu seinen Entscheidungen steht.
Ein Wort zu Ihrem Gegenkandidaten?
Er steht nun schon 16 Jahre an der Spitze des Kreises. Nach dieser langen Zeit hat er sich seine Pension redlich verdient.
Im Falle einer Wahl: Erste Schritte sind …
…der Aufbau einer stabilen Mehrheit im Kreistag, um eine bessere Politik für Lippe auch tatsächlich durchsetzen zu können. Und dann beginnt unmittelbar die inhaltliche Arbeit: Gemeinsam mit den Lipperinnen und Lippern, mit dem Kreistag und der Kreisverwaltung will ich dann den demografischen Wandel – die zentrale Herausforderung der nächsten Jahrzehnte – so gestalten, dass Lippe Zukunft hat.
Ein Schlusswort?
Der 13. September – eventuell auch die Stichwahl zwei Wochen später – ist eine wichtige Wahl. Es geht darum, wie auch Sie künftig in Lippe leben wollen. Gehen Sie also bitte zur Wahl, oder nehmen Sie die Möglichkeit zur Briefwahl wahr! Wenn man eine Wahl hat, sollte man sie auch nutzen!
Mehr Infos auch unter:
www.lehmann-fuer-lippe.de
Morgen im Interview: Landratskandidat Werner Loke
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